Ist die Welt mathematisch?

Ist die Welt mathematisch?

Text: Robert Schütz

Der Bau des FEL am Paul-Scherrer-Institut (Schweiz)
soll zeigen: Mathematische Präzession,
Simulation und BIM gehören zusammen. Für höchste
wissenschaftliche Ansprüche wurde hier in der Schweiz geplant
und gebaut. Doch mit welchem Ergebnis?

Luftaufnahme der Baustelle, heute von einer ökologisch wertvollen Magerwiese überwachsen. Fotos: Itten + Brechbühl

von Robert Schütz

„In der Mathematik haben wir die Sprache gefunden, in der das Buch der Natur geschrieben zu sein scheint», mutmasst John Barrow, Cambridge-Professor für Theoretische Physik und angewandte Mathematik, in seinem Essay «Warum die Welt mathematisch ist». Gehen wir einmal davon aus, dass sich alle Zustände und Ereignisse im Verlauf von Raum und Zeit tatsächlich mathematisch beschreiben, ableiten und planen lassen, so muss irgendwann der Nachweis erbracht werden, dass diese Theorie real funktioniert. Das gilt für theoretische Physik, aber auch für BIM; denn betrachten wir die Software im Planungsprozess, so ist auch das «nur» eine Abfolge von mathematischen Algorithmen. Und auch die Terminplanung ist lediglich eine Anwendung der Graphentheorie (Netzplantechnik). Doch BIM ist mehr, und es kommt eine noch schwer berechenbare Grösse hinzu: der Mensch. Am FEL kann man den derzeit möglichen Planungserfolg von BIM aufzeigen, und bereits jetzt kann man vorwegnehmen: Trotz BIM konnten nicht alle Projektziele erreicht werden. Was jedoch hier abverlangt wurde, war extrem anspruchsvoll. Im Inneren der Versuchshalle muss z. B. ständig eine Temperatur von exakt 24,1 Grad Celsius herrschen. Und selbst die Erdkrümmung wurde hier auf der Länge von 740 Meter einkalkuliert. Das alles hat seine Berechtigung, denn hier sollen später grundlegende mathematische Theorien weitergedacht und nachgewiesen werden, die eines Tages relevant sein könnten. Präzision ist hier entscheidend.

Schnittstellenproblem
bei CAD-Systemen
Verantwortlich für die Gesamtleitung der Planung und deren Koordination sowie für die Architektur und Bauleitung war das Architekturbüro Itten + Brechbühl. Die Architekten und Generalplaner mit Sitz in Basel verstehen sich als Komplexitätslöser bei Grossprojekten und wurden 2016 für ihre Arbeit am SwissFEL mit dem Arc Award BIM ausgezeichnet. Die Jury begründete ihren Entscheid mit den Worten: «Itten + Brechbühl verwendet hier den Computer als Planungswerkzeug zur Umsetzung der aussergewöhn­lichen Anforderungen an das Installationskonzept und zu dessen dreidimen­sionaler Koordination im Bauwerk. Solche Aufgaben können nicht durch Fleiss und Zeichnen gelöst werden, sondern nur durch innovative Programmierung …» Andreas Jöhri, BIM-Verantwort­licher von Itten + Brechbühl und Projektleiter, beschreibt die Herausforderung wie folgt: «Es ging im Wesentlichen um ein sicheres Erreichen der Ziele bezüglich Präzision am Bau und der Randbedingungen in der Haustechnik.» Weiter erklärt er: «Der Bau entspricht der minimal erforderlichen Hülle um die eigentliche ‹Maschine›. Insofern war der Platz für die Installationen äusserst knapp und die Koordination und laufende Optimierung entscheidend. Dafür eignet sich die BIM-Methodik, sie hilft die Kommunikation im Team und mit der Bauherrschaft effizient zu gestalten.» So ganz problemlos konnte die digitale Zusammenarbeit aber nicht starten. Als Grund gibt ­Itten + Brechbühl an: «Die CAD-Anbieter hatten die gemeinsame Schnittstelle noch nicht ganz korrekt implementiert». Doch auch
diese Herausforderung liess sich meistern.

Berechnung der Eintritts- und Austrittspunkte der S-förmigen Leer-Rohre via Koordinaten.

BIM war für GA nicht gefordert
Für die Fachplanung der HLKS, GA, die Koordination und die Spezialanlagen war «ahochn», der Gesamtdienstleister für Gebäudetechnik und Energie verantwortlich. «Die Planung nach der BIM-Methode war für die ­Gebäude-Automatisation nicht gefordert. Da aber die Maschinenplanung vom PSI übernommen wurde, waren etwa 60 IFC-Datenmodell-Sitzungen und Kollisionsprüfungen erforderlich», erklärt Dipl.-Ingenieur Markus Schädler, der bei«ahochn» die Fachplanung leitete. Auf die zukünftigen Erwartungen an BIM angesprochen, erklärt er: «Ich wünsche mir von allen Parteien mehr Mut und dass alle beim Einsatz von BIM ihre neuen Verantwortungen wahrnehmen. Dann bekommt der Prozess Schwung.» Auf weiteres Nachfragen musst er jedoch anmerken: «Die etwa 300 Projektänderungen führten zu wesent­lichen Mehrkosten, die dafür sorgten, dass sich die Arbeiten um etwa ein Jahr verzögerten. Doch muss man hinzufügen, dass die Maschine infolge der formalen Ausschreibungsverfahren und Einsprachen ebenfalls verzögert geliefert wurde. So ganz ging die Rechnung – trotz BIM – also nicht auf. Bedeutet dies, dass die mathematischen Algorithmen und Prozesse der BIM-Methodik in der Praxis versagt haben?

BIM wird sich durchsetzen
Architekt Jöhri macht Mut: «BIM war zur Zeit des Swiss FEL noch in sehr kleinen Kinderschuhen, hat sich aber sehr schnell weiterentwickelt … BIM wird sich als Methode in den nächsten Jahren durchsetzen und zum Standard werden.» Sicher gibt es noch Schwächen, doch BIM könnte in wenigen Jahren perfekt funktionieren, mit noch mehr rationaler Mathematik und weniger menschlichen Schwächen. Spätestens wenn wir die vierte Ebene des Stufenplans erreicht haben und alle kommunizierenden Systeme «miteinander» nach rational-mathematischen Gesetzen arbeiten, sind wir dem Ziel einer mathematischen Bauwelt näher. Mit dem neuen SwissFEL können Physiker jedenfalls jetzt, wenn auch verspätet, die Sprache der Mathematik in die Praxis übersetzen.
John Barrow wird es freuen. Der Professor für Theoretische Physik könnte am Ende doch Recht be­halten mit seiner These: Die Welt ist mathematisch, q. e. d. ●