Architektur-Symposium Luzern: Gliederung. Plastizität. Opulenz. Oder: Was kommt nach der Modernen?

 

Text: Robert Schütz. Gelingt der Abschied vom Minimalismus der Jahrtausendwende? Öffnet  der technische Fortschritt der Architektur jetzt neue Türen? Dies waren nur einige der grundlegenden Fragen am Architektur Symposium in Luzern. 

„In unser Zeit ist alles Möglich. Die freie Verfügbarkeit, nicht der Mangel oder die Not, bestimmen Formgebung und Materialismus“, behauptet der Architekt Martin Tschanz in einer Ankündigung zum diesjährigen Architektursymposium in Luzern. Hierzu hatten sich Architekten und Handwerker bereits im Februar im Forum der Messe Luzern versammelten, um über die aktuellen Fragen der Baukunst nachzudenken. Architekt und Moderator der Veranstaltung, Tschanz, der zudem als Publizist und Dozent an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur arbeitet, fasste in einem ersten einführenden Vortrag zusammen, welche grundlegenden Fragen die derzeitige Diskussion innerhalb der Architektur bewegen. Eine von vielen Antworten lieferte er gleich selbst mit seiner These: „Der Minimalismus der Jahrtausendwende wird durch eine komplexere Architektur abgelöst.“ Wie eine derart komplexere Architektur aussehen könnte, erläuterten im Anschluss vier ganz unterschiedliche Referenten. Dabei standen drei Begriffe immer wieder im Vordergrund: Gliederung, Plastizität und Opulenz.

Das Digitale Handwerk und die Rokokorelevanz

Kronleuchter_Fall of the damned

Den Anfang machte der holländische Architekt Prof. Lux Merx, der aktuell an der deutschen Hochschule in Kaiserlautern doziert, mit seiner Forderung nach mehr Opulenz beim gegenwärtigen Schaffen. Bereits die Themenwahl „Rokokorelevanz“ lässt erahnen, welche unkonventionellen Gedanken und Ideen sein Vortrag beschreibt. Zugeben, die eher schwülstigen und überladenen Formen des Rokoko liegen fast 250 Jahre zurück und mit dieser Epoche verbinden wir nicht unbedingt Innovation und Fortschritt. Doch vielleicht gerade deshalb versuchte der Referent den Bezug zur einer neuen Modernen überzeugend herzuleiten. Die Typischen Formen des Barock und des Rokoko dienen ihm als hilfreiche Inspirationsquelle. Seine Arbeiten zeigen die völlig neue Sichtweise auf das „Glanz und Gloria“ vergangener Tage. Hilfreich ist, dass heute – auch dank der Digitalisierung und neuer Herstellungstechniken, viel präzisere und kostengünstigere Planungen und Umsetzungen möglich sind. Luc Merx macht sich diese Möglichkeiten zu nutze um etwas völlig Neues zu schaffen. Anlässlich des Architektursymposiums in Luzern zeigte er, wie sich opulente Ideen perfekt realisieren lassen. Seinen  Kronleuchter „Fall of the Damned“, für den das Gemälde „Der Höllensturz der Verdammten von Peter Paul Rubens als Vorlage diente, ist hier nur ein Beispiel. Mit seiner fraktalen Anordnung von Butten und Engeln besitzt dieses Werk ganz klar eine Rokokorelevanz und versucht dem gewöhnlichen, modernen Allerlei etwas Opulentes entgegen zu setzen. Zusammen mit einer indirekten Beleuchtung lässt Merx hier ein Objekt anstehen, das den gewünschten Anforderungen an eine neue Moderne tatsächlich gewachsen zu sein scheint.

Alte Neue Malerkunst

Welchen Einfluss moderne Handwerkskunst auf die Umsetzung neuer Ideen hat und welche Möglichkeiten ausgesuchte Techniken bieten, zeigte Marius Fontana, von fontana & fontana aus Rapperswil in seinem Beitrag. Der Dekorationsmaler und Restaurator demonstrierte, wie es gelingt alten Bauwerken ein völlig neues Gesicht zu verleihen, ohne dass diese ihre Kultur und Historie verleugnen. Fontana erklärt hierzu: „Die Restaurierungsmassnahme soll die noch vorhandene Substanz wieder zur Geltung bringen und seine Aussage nach Form und Inhalt wieder anschaulich und ablesbar machen.“ Durch teilweise sehr aufwendige Verfahren gelingt es spezialisierten Handwerkern und Restauratoren heute, die jeweiligen künstlerischen Besonderheiten neu zu betonen und gekonnt zu inszenieren. Obwohl Fontane die enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Handwerk klar unterstützt und praktiziert, stellte er beim Architektursymposium die Begriffe Können und Erfahrung verstärkt in den Vordergrund. Die Wiederherstellung und Erhaltung vergangener Baukunst, ist für ihn ein wichtiger Beitrag für mehr Beständigkeit und Langlebigkeit in modernen Städten. Eine Forderung, welcher die zeitgenössische Architektur immer weniger nachkommt. Von fast vergessen Künsten alter Meister können wir heute viel lernen, das gilt für neue Entwürfe. Fontane fordert konkret: „Das Handwerk insgesamt muss über mehr Wissen und Können verfügen und Bestehendes pflegen, damit es dem zu Recht strengen Massstab am wertvollen Objekt gerecht werden kann.“ Neben der schönen Hülle, ist vor allem die geschickt gewählte Konstruktion ein wichtiger Teil beim Entwerfen. Wie das funktioniert, erklärte Benjamin Widmer an Hand seiner Arbeiten.

 Über die Kunst des Fügens

Gottfried Semper definierte Tektonik einst als „Kunst des Zusammenfügens starrer, stabförmig gestalteter Teile zu einem in sich unverrückbaren System“. Widmer spricht in seinem Vortrag kurz von der Kunst des Fügens von Bauteilen und demonstriert als Beispiel u.a. das von seinem Büro Bernath  & Widmer erbaute Ferienheim Büttenhardt in der Nähe von Schaffhausen. Er beschreibt diese gelungene Konstruktion als eine Art Bohlen-Ständerbau, wie er vom 17. bis zum 18. Jahrhundert in der Zentral und Ostschweiz verbreitet war und der zudem ohne hinterlüftete Verkleidung auskommt. Dabei ist es nicht nur die Anordnung der Tragelemente, die seine Bauten so speziell machen, sondern vor allem die Wahl der Holzmaterialien, die dem Anspruch an Nachhaltigkeit und Beständigkeit im Besonderen gerecht zu werden. Er verwendet regionale Holzarten, die direkt aus dem nahe gelegenen Mischwald stammen und direkt vor Ort verarbeitet werden.

 

In einer Baubeschreibung erklärt das Büro: „Alle Balken wurden in Längsrichtung gebohrt, damit der Kern entfernt werden konnte. Dabei mussten die Baustämme nicht aufgesägt werden. Mit dieser Methode des kernfreien Laubholzes gewinnt man hochwertiges Bauholz aus Rundholz, das bisher nur als Brenn- oder Industrieholz verwendet werden konnte. Dies ist eine ökologische, lokale und einfache Alternative zu bekannten Holzsystemen, vor allem auch weil die Hölzer nicht verleimt werden müssen.“ Widmer geht somit in bei der Konstruktion ganz klar neue und eher unkonventionelle Wege.

Mit Schlagfertigkeit und Ziegelsteinen gegen die Geistlosigkeit des Modernismus

Festgefahrene Konventionen in der Architektur sind für den folgenden Referenten unerträglich. Sein Name hat aufgrund seiner ganz eigenen Philosophie, sicher einen ganz besonderen Klang in der Bauwelt: Prof. Arno Lederer, der u.a. zehn Jahre lang an der Universität Stuttgart das Institut für öffentliches Bauen und Entwerfen geleitet hat, sieht die Diskussion um eine neu Moderne heute mit der ihm ganz eigenen Gelassenheit. „Was ist schöner, eine Stradivari oder ein Plattenspieler?“, fragt er in die Runde und will damit verdeutlichen, wie wenig sich Altes mit Neuem wirklich vergleichen lässt und wie sehr Kunst und Wissenschaft dennoch zusammengehören.

 

Prof. Lederer, Stuttgart

Prof. Lederer, Stuttgart

Das Gleiche gilt für Bach und Mozart, die sicher beide auf ihre Art fortschrittlich waren“, fügt er hinzu. Worum es Lederer sicher geht, ist zu zeigen, dass Architektur nicht nur die Wissenschaft für eine Analyse bzw. für  einen gelungen Entwurf heranziehen sollte. Er sieht die Architektur viel ganzheitlicher. Ein Ansatz der auch in der Ausbildung stark vernachlässigt wird. Leder hierzu: „In den Studienplänen findet das spezielle Talent für die Profession aber bis heute keinen Platz.“ Sein Architektenkollege Gerd de Bryn sagte über Lederer: „Er ist sicher einer, der mit Schlagfertigkeit und Ziegelsteinen gegen die Geistlosigkeit des Modernismus und für die Rückkehr zur Baukunst kämpft“. Das diesjährige Architektursymposiums lieferte somit wieder viele Ansätze aber auch neue Fragen, die hoffentlich in Zukunft zu völlig neuen und wirklich überraschenden Ergebnissen führen. Wir können also weiterhin gespannt sein, wohin die nächste Moderne driftet.